ProSieben wagte sich an einen politischen Talk. (Screenshot ProSieben)
ProSieben wagte sich an einen politischen Talk. (Screenshot ProSieben)

Mehr Politik wagen : Das ProSieben Spezial mit Baerbock war nicht gut – aber notwendig

Und am Ende klatschen die Moderatoren für Annalena Baerbock. War das, was ProSieben am Montag als politischen Coup verkaufen wollte - nämlich das Interview mit der frisch gewählten Grünen Kanzlerkandidatin - notwendig und ein Mehrwert für die Zuschauer? Ich habe meine Zweifel - und dennoch: Es war hoffentlich nicht das letzte Mal.

„Wie war Ihr Tag?“, „Warum treten Sie nicht zu zweit an?“, „Geht Ihnen der Arsch auf Grundeis?“ – Das große Interview mit Annalena Baerbock startet überaus gefällig und von den beiden Moderatoren Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke vielleicht auch etwas unbeholfen. Warum gibt es nur eine Kandidatin? Baerbock selbst gibt etwas verwundert die Antwort: Na, weil das Gesetz nur eine Person an der Regierungsspitze vorsieht. Zwischenzeitlich und aufgrund der großen Redeanteile von Baerbock bekommt man sogar etwas das Gefühl, sie nimmt den Moderatoren die Last ab und übernimmt die Sendung – was dann aber auch dezent werblich wirkt.

Ab und zu blitzt dann mal ein kritisches Nachfragen durch: Kann man ohne Regierungserfahrung das Amt stemmen? Wurde die Spitze jetzt im Hinterzimmer bestimmt? Und wo sollen die 50 Milliarden Euro pro Jahr herkommen, die die Grünen investieren wollen. Auf Nachfrage nach konkreten Beispielen zur Finanzierung lässt man sich Baerbock dann aber doch wieder rauswinden und davon schwärmen, man wolle ihn Schulen investieren, hier komme das Geld zukünftig ja zurück.

Sommerinterviews von ARD und ZDF sind oft auch eher seicht und ohne hartes Nachfragen

Wenn man vom ProSieben Spezial als politisch interessierter Mensch tatsächlich etwas Neues erwartet hat, dann war man schnell enttäuscht über das was da passiert ist. Doch ist das die richtige Perspektive? Auch die Sommer-Interviews von ARD und ZDF sind in weiten Teilen gefällig, scharf nachgefragt wird nur bei den wenigsten Gesprächspartnern und dennoch rühmen sich die Öffentlich-Rechtlichen Sender mit ihrer politischen Kompetenz.

Aber was wäre, wenn diese typischen ARD-Zuschauer gar nicht die Zielgruppe waren? Was, wenn ProSieben hier etwas anderes im Hinterkopf hatte? Der Sender selbst positioniert sich als „die klare Nummer 1 bei den 14- bis 29-Jährigen“ – und an diesem Punkt wird es spannend: ProSieben hat hier 45 Minuten zur besten Sendezeit, am Montag um 20:15 Uhr, ein politisches Interview ausgestrahlt und damit eine deutlich jüngere Zielgruppe an die aktuelle Politik und  – mit Annalena Baerbock – an eine aussichtsreiche Nachfolgerin von Angela Merkel herangeführt. Für was stehen die Grünen? Kann ich mir diese Frau als Regierungschefin vorstellen? Welche Konsequenzen sind mit diesem Amt eigentlich verbunden?

Hatte das ProSieben Spezial die junge Zielgruppe im Fokus?

Ob das klappt? Ich weiß es nicht. Gerade einmal 8,5 Prozent der 14- bis 49-Jährigen, was etwa 720.000 Personen entspricht, wollten die Sendung sehen. Bei der eigentlich für den Sendeplatz vorgesehenen Serie Chernobyl schalteten ab 21 Uhr immerhin 12,5 Prozent ein – was 910.000 Personen entspricht.

Was ProSieben da versucht hat war dennoch mutig und irgendwie auch eine Wundertüte für die Zuschauer. Und so traurig das mit Blick auf die letzten Jahrzehnte ist: 45 werbefreie Minuten um 20:15 Uhr, die sich nur um Politik drehen, muss man sich als privater Rundfunksender erst einmal trauen. Dass ein grundsätzliches Interesse von jungen Zuschauern an der Politik besteht, zeigt zuletzt vor allem Markus Lanz mit richtig guten Quoten am späten Abend.

Konsequent wäre es, nun auch alle anderen Kanzlerkandidaten zu befragen und somit das Geschmäckle des Gefälligkeits-Interviews etwas abzustreifen. Ob die Moderatoren Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke dann auch bei Olaf Scholz und Armin Laschet klatschen werden? Zumindest könnte man es dann als stilistisches Element verkaufen. Wenn auch ein seltsames.