Früher habe ich gern das Radio eingeschaltet. Auf dem Weg zur Arbeit, während der Hausarbeit, als Hintergrundsound auf Partys oder einfach um neue Musik zu entdecken. Aber heute bieten Youtube, Spotify & co. dafür viel flexiblere und im Zweifel auch werbefreie Lösungen an. Trotzdem möchte ich dieses Medium nicht missen und das hat einen ganz einfachen Grund.
Je nach Statistik hören wir Deutschen noch etwa drei bis vier Stunden Radio pro Tag – und irgendwie tue ich das auch. Nur eben nicht mehr an den Radioempfänger gefesselt, wie früher, sondern ganz bewusst und zeitunabhängig. Was interessieren mich die hundertste nervige Morningshow oder die größten Hits der 80er, 90er und von heute? Viel spannender sind für mich Menschen, die beim Radiomachen noch Leidenschaft zeigen. Menschen die versuchen sich das Medium zu eigen zu machen, statt sich von einer immer stärkeren Formatierung vereinnahmen zu lassen.
Radio-Entdeckungen abseits vom Mainstream-Gedudel
Denn bei allem Gedudel wird oft vergessen, wie toll ein Medium sein kann, dass sich auf seine Stärken besinnt: Starke Wortbeiträge, eine einzigartige Musikauswahl mit persönlichem Hintergrund und ganz besonders echte Live-Momente, die eben so nicht bis auf die letzte Silbe vorher ausformuliert wurden. Weil man in der Branche aber lieber um Marktanteile und die besten Werbepreise kämpft, sind solche Sendungen oft in die Randzeiten (zwischen 18 und 6 Uhr und die Wochenenden) gewandert.
Bestes, und wohl bekanntestes Beispiel, war die Sendung Domian. Sie lief über 20 Jahre mitten in der Nacht auf 1LIVE (und im WDR-Fernsehen). Am Ende passten die Sendung auch gar nicht mehr so recht in das sonstige Programm des Senders. Der einmalig geduldige Charakter von Jürgen Domian und die unzähligen Live-Momente wurden für treue Fans trotzdem zu einem festen Anlaufpunkt.
Auch Sanft und Sorgfältig mit Jan Böhmermann und Olli Schulz ist so ein Beispiel. Die Sendung musste sich am Sonntagnachmittag auf Radio Eins verstecken, während die beiden Moderatoren zwischen ironisch und ernst über die Themen sprachen, die sie persönlich bewegten. Spätestens als Podcast waren sie damit so erfolgreich, dass sich sogar ein kommerzieller Player wie Spotify für das zweistündiges Talk-Format zu interessieren begann und die Sendung 2016 unter dem Namen Fest und Flauschig kurzerhand exklusiv zur Streaming-Plattform holte.
Livemomente und spontane Moderationen zeichnen gutes Radio aus
Und an genau diesem Punkt steige ich ein: Ich habe viele Radiosendungen lieb gewonnen. Doch statt zu unmöglichen Zeiten das Radio einzuschalten, setze ich eben auf Podcasts. Gebündelt und verfügbar, wenn ich darauf Lust habe. So gibt es bei MDR Kultur tolle Radiofeatures, die in 30 oder 60 Minuten jeweils ein Thema aus Kultur oder Politik umfangreich beleuchten.
Oder bei Radio Eins das Medienmagazin, in dem Jörg Wagner, zusammen mit vielen Experten und Interviewpartnern aus der Branche, Medienthemen bespricht. Dabei schreckt auch auch nicht vor Kritik am eigenen Haus zurück und hakt nach, wenn sich ein Interviewpartner versucht herauszuwinden. Ein geballtes Expertenwissen und die Begeisterung für die Branche merkt man ihm in jeder Silbe an. Außerdem gibt es immer wieder kleine interaktive Experimente in den Sozialen Medien sowie Podiumsdiskussionen und Vorträge, die man sich in voller länge anhören kann. Ideal für lange Zugfahrten.
SWR3 wiederum liefert Einblicke in die Geschichten hinter den größten Hits der Geschichte. Wie sind die Songs entstanden? Wie sah das Leben der Interpreten vorher aus? Und wie kam es zu den Cover-Versionen, die heute heute oft bekannter sind als das Original?
Und wenn es dann doch einmal das klassische Radio sein soll, dann doch bitte live – und zwar richtig. Dafür nehme ich mir dann auch gern ein paar Stunden Zeit. Etwa für Die Bayern 1-Radioshow mit Thomas Gottschalk, in der Gottschalk die Hits seines Lebens vorstellt, von seinen Erlebnissen mit den Stars erzählt oder sich zum zehnten Mal beim Verkehrsfunk verspricht.
Ähnlich gut ist auch das #SputnikTalkradio mit Maurice Gaida und Kevin Klose – die der ein oder andere vielleicht noch von Joiz kennt. Beide diskutieren über ihre Themen der Woche, reden mit Zuhörern, die sie per Telefon in die Sendung durchstellen, und gehen aktiv und live auf das Feedback von Twitter und Facebook ein.
Authentizität die im Radioalltag angenehm guttut
Bei diesen Sendungen kann ich mir sicher sein, dass Dinge passieren die so vorher ganz bestimmt nicht abgesprochen sind und die sich trotzdem vertraut anfühlen, weil sich die Sendungen, die Inhalte und die Moderationen an den Moderatoren ausrichten – nicht umgedreht.
Klar ist, dass es all diese tollen Sendungen wohl nicht gäbe, wenn sie nur online verbreitet werden würden. Es braucht in vielen Fällen noch die großen Radio- und Werbebudgets, um sie überhaupt kostendeckend produzieren zu können. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sich mehr Sender trauen ihre Perlen auch häufiger in den Hauptsendezeiten auszustrahlen.
Es gibt noch so viele Beispiele mehr, die zeigen, wie faszinierend das Medium Radio immer noch sein kann. Nur muss man diese erst einmal entdecken.
Welche Geheimtipps könnt ihr empfehlen? Was sollte man unbedingt einmal gehört haben?